Tag 03 - Vom Alpenrhein zum Bodensee

Tag 03 – Sontag, 01. Juli 2012: Vom Alpenrhein zum Bodensee

Chur – Bregenz – Meersburg – Konstanz (mit dem Zug: Allensbach)

 

Krähen und Hunde

In der Nacht tröpfelt es für etwa eine Viertelstunde. Da ich aber keine Lust habe, eine neue Unterkunft zu suchen und umzuziehen, wende ich dem Nieselregen den Rücken zu, drehe mein Gesicht in Richtung Wand und schlafe weiter in der Hoffnung, dass es bald aufhört. Die Hoffnung wird erfüllt. Am Morgen werde ich von Krähen geweckt, die in der Dachrinne über mir rumpicken. Somit bin ich um 6:30 schon eine halbe Stunde früher wach als geplant. Aber wenn nicht durch die Vögel, wäre ich durch die Hunde aufgewacht, die hier Gassi geführt werden. Die Autos ihrer Besitzer parken praktisch vor meiner Nase. Zwischen uns sind nur etwa fünf Meter Rasen und eine Hecke. Sowohl die Hundehalter wie auch die Hunde haben mich anscheinend weder bemerkt noch habe ich sie gestört.

 

Strecke bis an den Bodensee

Ich fahre gleich los, vorbei am Churer Industriegebiet. In die Stadt selbst komme ich nicht, denn der Radweg führt an ihr vorbei, ohne einen kleinen Schlenker durch diese interessante Stadt zu machen. Schade, aber dafür habe ich heute mehr Zeit dafür, eine wahrscheinlich lange Strecke zu fahren.

Von Chur bis Bregenz erinnert der Rhein eher an eine Autobahn, so geradlinig und künstlich sieht er in seinem Damm aus. Es gibt also lange nicht so viele Anlässe wie gestern, um für Fotos anzuhalten. Wer hier etwas erleben und etwas Spannendes sehen will, muss abseits des Flusses in die Täler und Dörfer fahren. Die Zeit habe ich aber nicht. Und Lust auch nicht, da ich die ganze Zeit vor oder hinter mir dunkle Wolken sehe oder in leichte Schauer hineinfahre. Mit einem kleinen Ausflug ins Zentrum von Vaduz, der Hauptstadt des Fürstentum Liechtenstein wird es bei dem miesen Wetter und dem zeitlichen Verzug nichts. Den kleinen Staat betrete ich also nur sehr kurz. Dafür fahre in Vorarlberg, Bundesland von Österreich, am Alten Rhein (nicht verwechseln mit Altrhein!) entlang. Unterwegs treffe ich einen Fahrer, der weiter in den Süden nach San Benedetto will. Wir haben ein kurzes, nettes Gespräch und es ist schön, sich kurz auszutauschen. Bei der Fahrt bemerke ich, dass sich in Bezug auf die Rennradfahrer nicht viel geändert hat seit 2007 – sie grüßen so gut wie nie und konzentrieren sich nur auf die Straße vor sich.

 

Schlafplatz
Schlafplatz
Chur
Chur
Rhein, Haldenstein
Rhein, Haldenstein
Industrie
Industrie
Dorf
Dorf
Rhein
Rhein
Grenze CH - FL
Grenze CH - FL
Schloß
Schloß
Rhein
Rhein
Voralberg
Voralberg
Altrhein
Altrhein
Brueckenbau
Brückenbau


Anstrengende Fahrt zwischen Bregenz und Meersburg

Etwa um 18 Uhr, einige Kilometer vor Bregenz, bin ich total im Eimer. Eigentlich müsste ich jetzt mindestens eine halbe Stunde Pause machen, viel essen und am besten noch ein kleines Nickerchen machen. Am Trinken kann es kaum liegen, Flüssigkeit nehme ich ausreichend zu mir. Als Gründe gibt es nur die anstrengende gestrige Strecke und den gelegentlichen Gegenwind von heute. Zum Glück ergibt es sich, dass eine Gruppe mit drei Mitfahrern entsteht. Grund ist, dass wir alle zeitgleich an einer Brücke am nördlichen Ende von Lustenau ankommen, und alle nicht genau wissen, wo es weitergeht. Ab hier scheint es keinen offiziellen Radweg mehr zu geben. Wir kommen ins Gespräch und einigen uns darauf, geradeaus auf der Landesstraße zu fahren, denn wir wollen alle nach Bregenz. Bei dem schlechten Wetter jemanden zu haben, mit dem man sein Unglück teilen kann, ist gar nicht schlecht – geteiltes Leid ist halbes Leid. Unsere gemeinsame Strecke ist aber nur von kurzer Dauer, da die beiden jungen Frauen bald Halt machen und sich von uns verabschieden. So fahre ich allein mit Uwe weiter. Er ist von Österreich über Feldkirch gefahren und will übermorgen in seine Heimatstadt Tübingen zurück. Er fährt nicht viel schneller als ich, aber eben doch schneller. Und das spüre ich. Einige Male überlege ich mir, mich wegen seines Tempos von ihm zu trennen, doch immer wieder reiße ich mich zusammen und sage mir, dass ich wenigstens noch bis Bregenz mit ihm fahren werde. Dort „verschwindet“ der Rhein für einige Zeit und füllt den Bodensee. Erst ab Konstanz bzw. dem „Konstanzer Trichter“ ist er wieder als Fluss sichtbar.

In Bregenz machen wir am Festspielplatz für einige Minuten Pause, die ich auch bitter nötig habe. Die weitere Fahrt am nördlichen Ufer des Bodensees führt eine kurze Strecke durch Bayern, danach folgt Baden-Württemberg. Es ist anstrengend und optisch nicht besonders reizvoll. Das liegt aber nicht an der eigentlich sehr sehenswerten Strecke, sondern daran, dass ich mich kaum noch auf die optischen Reize konzentrieren kann. Obwohl ich bei Uwe gut in die Pedale treten muss, fahre ich noch immer zusammen mit ihm. Sei es, weil er wie ich gelegentlich auch einige Minuten Pause machen will, weil er anhält, wenn ich ein Foto mache oder weil ich nicht auf den letzten Kilometern vor seinem Zielort Immenstaad, wo er campen will, aufgeben will. Vielleicht ist mir ab Bregenz unbewusst auch klar, dass ich das für heute geplante Ziel nicht erreichen werde, wenn ich nicht mit ihm mithalte. In Immenstaad verabschieden wir uns voneinander und ich fahre weiter Richtung Meersburg.

 

Mit der Fähre von Meersburg nach Konstanz

In Meersburg nehme ich gegen 21:20 die Fähre nach Konstanz. Leider macht der Akku des Fotoapparates nicht mehr mit und ich kann weder das Schloss noch einen Blick von der Fähre auf den See oder das nächtliche Konstanz knipsen. Mir tut alles weh, es ist kalt und ich will endlich bei meiner Schwester Hannah in Allensbach ankommen, wo ich eine warme Dusche genießen werde. Nach der Ankunft im Hafen von Staad fahre ich mit dem Rad zum Konstanzer Bahnhof, wo ich erst mal was essen muss. Da hilft – wie fast durchgehend bei der Reise – am besten ein Dönerladen. Dort bekomme ich auch mit, dass beim Endspiel der EM Spanien 4:0 gegen Italien gewinnt. Und ich gönne es den Spaniern, haben sie doch schon vor 4 Jahren verdient gegen die deutsche Mannschaft den EM-Titel gewonnen.

 

Muendung in den Bodensee
Mündung in den Bodensee
Bregenzer Festspiele
Bregenzer Festspiele
Bregenz
Bregenz
Lindau
Lindau
Kressbronn, Haengebruecke
Kressbronn, Hängebrücke
Bodensee
Bodensee
Meersburg
Meersburg
 

 

Unruhestifter im Zug

Kurz nach 22 Uhr steige ich für die zehnminütige Fahrt ins Fahrradabteil des Zuges von Konstanz nach Allensbach. Wie üblich sind dort auch Sitzplätze, beide Seiten sind von jeweils einer Person besetzt. Da somit kein Platz mehr frei ist, um mein Rad abzustellen, bitte ich einen der beiden Männer höflich, sich auf die andere Seite zu setzen. Und das ist der Anfang einer interessanten Konversation, die filmreif ist. „Das ist hier kein Fahrradabteil, steig‘ weiter vorne ein!“ kommandiert einer der beiden. Mein Hinweis, dass dies eben doch ein Fahrradabteil sei und auch angeschrieben steht, interessiert ihn nicht. Er will einfach nicht aufstehen. Eigentlich macht er auf den ersten Blick einen netten Eindruck: etwa 50, gepflegt, rasiert, schulterlange weiße und schwarze Haare. Von der Stimme her kann ich keinen Dialekt erkennen, aus dieser Gegend kommt er aber eher nicht. Der Typ auf der anderen Sitzreihe ist wohl ein Bekannter von ihm, der sich anfangs zwar an der Konversation beteiligt, aber bald ausklinkt. Meinen neuen Bekannten stört das nicht. Mit der Zeit kommt er erst richtig in Fahrt. „Warum fährst du die paar Kilometer nicht mit dem Rad?“ fragt er sehr herablassend. Meine Antwort, dass die etwa 170 Kilometer seit Chur für einen Tag genug sind, scheint ihn nicht zu interessieren. Und inzwischen ist das Gespräch von seiner Seite aus eher in einen Streit ausgeartet. So fragt er mich mindestens zwei Mal „Willst Du ein paar aufs Maul?“. Anfangs hat er gesagt, dass er studiert habe. Das nutze ich jetzt für mich aus: „Wenn Du studiert hast, hast Du doch sicher gelernt, wie man sich anständig verhält und wie man sich gesittet ausdrückt, oder? Das sollte man doch von einem erwarten können, der eine Diplomarbeit geschrieben hat.“ Diese Aussage würde ich nie in einem anderen Gespräch machen, da sie etwas hochnäsig klingt, bei ihm aber passt es. Und immerhin ist er darauf etwas sprachlos – allerdings nur kurz.

Das Gespräch endet dann auch bald, da er absolut uneinsichtig ist und sich nicht von der Stelle rühren will. Da ich keine Lust habe, mich weiter auf seinem Niveau zu unterhalten, bleibe ich einfach auf dem Gang stehen und halte mein Rad fest. Er redet aber ununterbrochen weiter. Mit dem Thema „Fahrrad“ haben seine Beiträge aber längst nichts mehr zu tun. Auch hat er inzwischen seine Freundin angerufen, von mir berichtet und bittet sie, mit ein paar Kollegen an eine der nächsten Haltestellen zu kommen.

 

Multikulturelle Teamarbeit

Mit der Zeit haben sich auch mehrere Fahrgäste eingeschaltet – jeder von ihnen unabhängig voneinander. Und diejenigen, die nichts sagen, sind offensichtlich mit ihren Augen und Ohren dabei. Einer will sogar die Polizei anrufen, wovon ich ihn aber abhalte – „Das lohnt sich nicht“. Die neuen Gesprächsteilnehmer sind nicht nur verschiedensten Alters, sondern auch unterschiedlichster Herkunft. Somit sieht der Hauptdarsteller unseres Konflikts sich gefordert festzustellen, dass „Nur noch Kanaken in diesem Land!“ seien. Auf meine Frage, ob er denn etwas dagegen tue und selbst Kinder gezeugt habe, erhalte ich erneut keine Antwort. Vielleicht hat er die Frage auch nicht ganz mitbekommen, denn inzwischen hat er neue Gesprächspartner gefunden, die allerdings nicht mehr so ruhig sind wie die anfänglichen. Einer der jüngeren, etwa 20 und türkischen Ursprungs, sagt ihm, dass „etwas passiert, wenn du nicht gleich aufhörst“. Nachdem er seinen längeren Monolog in „Kanak Sprak“ beendet hat, sagt der gelassen dasitzende Vollidiot, dass er kein Wort verstanden habe und fragt, welche Sprache er denn gesprochen habe. Zudem störe ihn, dass ihn der junge Mann geduzt hat – ein klein wenig muss er also doch verstanden haben. Auch hier greife ich wieder ein und sage dem jungen Mann, dass er sich besser zurückhalten solle, denn der streitlustige Zeitgenosse, der sich für was Besseres hält, sei es einfach nicht wert, sich wegen ihm aufzuregen oder gar Ärger zu bekommen. Eine ernsthafte Diskussion ist unmöglich. Denn der Unterhalter des Abends ist offensichtlich der Ansicht, dass er immer Recht habe.

Was mich während diesen gut 15 Minuten überrascht und mich sehr erfreut, ist, wie die Leute mich unterstützen bzw. gegen den Trottel sprechen. So beteiligen sich mindestens fünf Fahrgäste lebhaft an der Auseinandersetzung und alle stehen sie auf meiner Seite bzw. fühlen sich wenigstens von dem Unruhestifter gestört. Kein Wunder, er hat auch alle reihum provoziert. Und beim Herumschauen und Zuhören merke ich, dass die meisten von ihnen bzw. ihre Eltern aus dem Ausland kommen. Meine zwei anfänglichen „Gesprächspartner“ und ich sind wohl die einzigen in diesem Abteil, die – anscheinend – keinen Migrationshintergrund haben. So bedanke ich mich, als ich in Allensbach aussteige, bei allen und wünsche ihnen noch viel Spaß bei der Weiterfahrt und gute Unterhaltung mit dem Herrn.

 

Ankunft

Gegen 23 Uhr komme ich endlich bei meiner Schwester Hannah an. Der Abend wird aber nicht lang – Micha, der Freund meiner Schwester, muss morgen arbeiten, ich bin total im Eimer von der langen Tour, und Hannah hat auch nichts dagegen, bald ins Bett gehen zu können. Beide wohnen im Elternhaus meines Vaters, in dem ich mit meiner Oma mütterlicherseits auch schon gut ein Jahr lang gewohnt habe (2001/ 2002). Dies ist der erste Ort meiner Radtour, an dem ich schon mal gewohnt habe. Basel, Freiburg und Köln werden noch folgen, jedenfalls ist dies mein Plan.

 

Für die heutige Strecke hatte ich eigentlich zwei Tage eingeplant und diesen Zeitraum würde ich auch allen Lesern empfehlen.

 

 

Tipps für andere Reisende:

In die Pedale treten und gelegentlich anhalten, um die Aussicht zu genießen und Fotos zu machen. So habe ich mir die Tour vorgestellt. Bei Dauerregen und niedrigen Temperaturen geht das aber nicht. Da muss man sich für eines entscheiden – fahren oder nicht fahren. Ansonsten hätte man bei jedem Wechsel große Temperaturschwankungen und müsste die Kleider wechseln. Ich habe mich meistens fürs Fahren entschieden und auf sehr viele Aktionen und Attraktionen verzichtet. Ab hier kommen öfter am Ende des Textes Empfehlungen für andere Reisende, die ihre Tour hoffentlich bei angenehmerem Wetter durchführen. 

 

-      ein Besuch in Vaduz, dem Hauptort des Fürstentums Liechtenstein

-      Schwimmen im Bodensee: am nördlichen Ende von Bregenz gibt es einen schönen Strand, ebenso in Meersburg

      -      die historisch sehr wertvolle Grenzstadt Konstanz

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 18:38:02