Tag 01 - Wanderung zum Tomasee

Tag 01 – Freitag, 29. Juni 2012: Wanderung zum Tomasee

Basel – Frenkendorf (mit dem Zug: Olten – Bern – Brig – Oberalppass) – Tomasee

 

Idee und Vorbereitungen

Heute starte ich meine erste mehrtägige Radtour seit 2007, als ich nach Jerusalem gefahren bin. Der Plan ist, von der Rheinquelle, dem Tomasee, bis zum Rheindelta bei Rotterdam, wo der Fluss in die Nordsee mündet, zu fahren. Spätestens am 20. Juli, also nach drei Wochen, will ich wieder zurück in Basel sein. Da ich am 4. Juli an der Volkshochschule Freiburg einen Vortrag über die letzte Tour halten werde, muss ich mich anfangs ziemlich ranhalten.

Die genauere Planung habe ich erst in der Woche vor dem Start begonnen. Hauptgrund für die späte Vorbereitung war die große Unsicherheit über das Vorhaben an sich und vor allem das Wetter. Als dies sich doch zum Guten zu wenden schien, habe ich mein Rad zur Überprüfung in eine Werkstatt gebracht, mich mit Turnschuhen, einem Netbook und schließlich mit einem Zugticket zum Oberalppass, der unweit des Tomasees ist, eingedeckt. Außerdem habe ich nach 5 Jahren zum ersten Mal wieder mein Zelt ausgepackt – leider zu spät. Es half alles Schrubben und Imprägnieren nichts mehr und ich habe es fortgeschmissen.

 

Verabschiedung am Arbeitsplatz

Ich starte zuhause – seit Mai 2011 ist das Basel. Dabei passiere ich vom Kleinbasler Quartier Matthäus den Rhein im Bewusstsein, dass er mich die nächsten drei Wochen lang begleiten wird. Mir ist auch klar, dass ich in wenigen Tagen, dem Rhein folgend, wieder hier ankommen werde. Auf meinem mit Urlaubsausrüstung vollbepackten Rad fahre ich den üblichen Arbeitsweg vorbei an Vororten, Industrieanlagen und durch Felder bis nach Frenkendorf, wo ich als Sozialpädagoge an der Sekundarschule arbeite. Dort verabschiede ich mich am letzten Schultag vor den Sommerferien von meiner Arbeitskollegin und den Schülern, von denen einige im nächsten Schuljahr nicht mehr an dieser Schule sein werden. Bisher wusste fast nur meine Kollegin von meinem Vorhaben, die Schüler sind somit etwas überrascht. Ich habe das Gefühl, viele von ihnen können sich gar nicht vorstellen, wovon ich eigentlich rede, wenn ich von meinem Tourvorhaben erzähle: „Am Rhein entlangfahren“ – dabei hatten wir doch erst gestern einen Wandertag bei sehr hoher Temperatur, was manchen schon zu viel war!

 

Zugfahrt durch die Schweiz

Meinen weiteren Weg setze ich von hier um kurz nach 10 mit dem Öffentlichen Nahverkehr fort. Dabei stellt sich das altbekannte Problem dar: das Rad selbst. Sowohl bei der Reise mit dem Zug (verfügbarer Platz) oder Flugzeug (Transport zum Flughafen, Verpacken) wie auch bei der Wohnungssuche (sicherer Stellplatz) ist es stets ein Hindernis. Heute ist die Reservierung für das Rad das Problem. Zuvor hat schon die Suche nach der Bahnstation, die sich so nah wie möglich an der Rheinquelle befindet, einige Anläufe gebraucht. So sind dies nicht Andermatt oder gar Disentis/ Muster – beide Orte sind zwar nicht weit entfernt vom Tomasee, aber eben falsch. Der korrekte Tourenstart lautet Oberalppass. Den beschriebenen Routen ist also nicht immer ganz zu trauen!

Auf der Reise dorthin habe ich Glück: über Olten nach Bern (hat die Hauptstadtfunktion in der Schweiz) und Brig geht es auf der vierstündigen Fahrt glänzend, obwohl ich einmal den falschen Zug erwische. Bei der zweistündigen Fahrt nach Andermatt komme ich in eine bezaubernde Landschaft. Ein Blick auf die im Zug angebrachten Landkarten macht mir klar, dass ich gerade in eine völlig neue Welt eintrete. Geographisch macht es keinen großen Unterschied, vom Erleben her aber schon. Vor ein paar Stunden noch an meiner Arbeitsstelle, bin ich gerade dabei, eine dreiwöchige Radtour zu starten. Hier ist auch der Rhonegletscher, dem die Rhone bzw. der Rotten entspringt – allerdings kann man ihn vom Zug aus nicht sehen. Gegen Ende der Strecke, als es etwas eintöniger wird und wir lange durch den Furka-Tunnel fahren, kann ich etwas Schlaf nachholen, den ich in der letzten Nacht vermisst habe. Denn wie immer habe ich meine Sachen auf den letzten Drücker gepackt und war länger beschäftigt als erwartet. Die letzte Fahrt zum Oberalppass dauert nur 20 Minuten, ist durch die vielen Schleifen und den steilen Aufstieg aber sehr reizvoll. Für viele Touristen, Nicht-Schweizer, aber auch für viele Eidgenossen mag hier die „richtige Schweiz“ beginnen – Alpen, Schnee und Kühe auf den bergigen Weiden. Gewöhnungsbedürftig sind die Fahrradabteile, die vom Bahnsteig aus erst etwa auf Bauchhöhe ersteigbar sind. Wenn ich hier alleine wäre, ganz ohne die sehr freundliche Schaffnerin und die hilfsbereiten Fahrradfahrer, wäre ich mit meinem Gepäck wohl etwas aufgeschmissen. Endstation der Zugfahrt ist Oberalppass, wo ich um kurz vor 16 Uhr ankomme.

 

Weg zur Arbeitsstelle
Weg zur Arbeitsstelle
Verabschiedung von der Klasse
Verabschiedung von der Klasse
Zugfahrt
Zugfahrt
 

 

Ankunft am Oberalppass

Hier beginnt die eigentliche Tour. Nach der Ankunft erkundige ich mich zuerst beim gerade schließenden „Infocenter Rheinquelle“, wie ich zum Tomasee kommen kann. Antwort: Einfach rechts der Passstraße den Weg entlanglaufen, bald würden eine Anzeigetafel und Wegzeichen folgen. Es würde wohl etwa 1,5 Stunden pro Strecke dauern, der See liege etwa 300 Meter höher. Das ganze natürlich ohne Rad, da es hier über enge Wege und Gestein geht. Es stellt sich nun die Frage, wo ich mein Rad mit dem ganzen Gepäck in der Zeit unterbringe. Viel ist hier oben auf dem Pass nicht los – es gibt die Bahnstation, den Oberalpsee, zwei Gasthäuser, einen Leuchtturm, eine Sitzbank und das Infocenter. Da ich mein Rad sicher nicht im Freien stehen lassen will, frage ich in einem der beiden Restaurants nach, im Alpsu. Die nette junge Frau meint, ich könne es problemlos im Schuppen des Restaurants abstellen, zur Sicherheit fragt sie aber noch ihren Chef. Als sie zurückkommt, weist sie mich noch darauf hin, dass es laut ihrem Chef momentan nicht einfach sei, zum See zu kommen, denn bisher wurde der Weg dorthin noch nicht geräumt: Ich bin hier auf einer Höhe von 2.046 Meter. Der Schnee liegt zum Teil noch bis hier unten und es gibt hier gewaltige, tosende Ströme von Schmelzwasser, die sich, von den Bergen kommend, ihren Weg in die Tiefe erkämpfen. Da ich meine Tour aber vollständig durchziehen und nicht schon die ersten Meter des Rheins auslassen will, stelle ich mein Rad in dem Schuppen ab, wechsle meine Sandalen gegen wasserdichte Turnschuhe aus, nehme eine Sportjacke und eine Wasserflasche mit. Und ich gehe davon aus, dass ich nicht die angekündigten 3 Stunden für Hin- und Rückweg brauchen werde.

 

Ankunft am Oberalppass
Ankunft am Oberalppass
Oberalppass
Oberalppass
   

 

Wanderung zum Tomasee

Die Strecke ist mit Wegzeichen auf Felsbrocken markiert, die später eine notwendige Hilfe sein werden. Das erste größere Hindernis taucht nach nicht mal einer Viertelstunde auf: Eine Schneezunge überquert den schmalen Weg auf einer Länge von etwa 20 Metern. Das ist riskant, denn auf der einen Seite geht es steil bergauf, auf der anderen steil bergab. Der Schnee ist hier am Tauen und es besteht das Risiko, dass man ausrutscht, den Berg hinunterrollt und sich erst zwischen den Kühen und Ziegen, die dort unten grasen, wieder aufrichten kann. Eine körperliche Gefahr sehe ich hierin zwar nicht, dafür eine psychische. Zum Glück bin ich aber nicht der erste, der diese Tour macht. So haben in den letzten Tagen einige Wanderer Vertiefungen im Schnee hinterlassen und die machen es mir einfach, den gleichen Weg zu gehen und „in ihre Fußstapfen zu treten“. Der weitere Weg ist wunderschön, man kann kleine Bäche und gewaltige Ströme der Schneeschmelze sehen und tosen hören, die ersten Blüten und Blumen des Bergfrühlings schmecken, sich blitzschnell versteckende Murmeltiere erblicken, gewaltige Felsbrocken neben dem Weg und eine faszinierende Berglandschaft bewundern. Das Bezwingen von weiteren Schneezungen, Matsch und vor allem größerer und reißender Bäche fällt nicht immer leicht. So habe ich manchmal nur die Möglichkeit, auf der noch bestehenden, dünnen Schneedecke über die breiten Flüsse zu laufen. Diese hält zum Glück immer und bricht nie ein. Einige vereinzelte Wanderer kommen mir entgegen und berichten, dass noch manche Schwierigkeiten zu überwinden seien. Aber ich gehe davon aus, dass ich es – wie die anderen Wanderer – schaffe, den Tomasee zu erreichen. Als einziges großes Problem erweist sich die oft fehlende Markierung, die durch Schnee, Geröll oder Wasser verdeckt ist. So komme ich besonders im letzten Drittel der Strecke öfter vom Weg ab, was mich einige Zeit und Motivation kostet. Zwei, drei Mal denke ich daran, wieder umzukehren. Aber ich gehe einfach weiter und sage mir, dass es irgendwie schon stimmen wird. Und ich will hier unbedingt ans Ziel kommen, denn sonst hätte ich ja den Startpunkt meiner Tour verpasst.

 

Ankunft an der Rheinquelle

Am Ende der Strecke laufe ich noch einmal über ein ausgedehntes Schneefeld, hinter dem der Tomasee auf einer Höhe von 2.345 m. ü. M. liegt, in dem die Quellen des Vorderrheins sich vereinen. Der See ist überwältigend, der Weg hierher hat sich absolut gelohnt! Ich bin jetzt der einzige hier oben, genieße die klare Luft und die Sonne, die ab und zu durch die Wolken schaut. Um den See herum geht es fast überall bergauf und man sieht einige kleine Bächlein, die den See füllen. Links von mir liegt die Stelle, an der das Wasser den See verlässt, und der Rhein bzw. der Vorderrhein beginnt. Die Ruhe wird nur von dem abfließenden Wasser „gestört“. Ich fülle meine Wasserflasche mit dem Quellwasser und transportiere sie ganz stolz wieder die Strecke abwärts. Der Rückweg ist natürlich einfacher als der Hinweg. Falsch kann ich hier nichts machen, bergab gehen ist selten ein Problem. Aber eigentlich gehe ich gar nicht. Ich hüpfe, denn damit bin ich um einiges schneller und erspare mir, bei jedem Schritt zu bremsen. Außerdem macht es Spaß, immer wieder vom mitgenommenen Wasser des Tomasees zu kosten.

Anfangs habe ich gedacht, es handle sich hier um einen einfachen Weg, den ich schnell geschafft haben werde. Schließlich hat mir ein Wanderer kurz hinter der ersten Schneezunge gesagt, es würde nur noch etwa 20 Minuten dauern. Offensichtlich hatte er keinerlei Gespür für Zeit. Insgesamt habe ich – wie vom Chef des Restaurants vorausgesagt – drei Stunden für den Weg gebraucht. Dies lag aber auch daran, dass ich auf am Hinweg sehr viel fotografiert und mich verlaufen habe.


 

  Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Blick auf den morgigen Weg

Blick auf den morgigen Weg

Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Weg zum Tomasee
Ankunft am Tomasee
Ankunft am Tomasee
Beginn des Rheins
Beginn des Rheins
vor dem Tomasee
vor dem Tomasee
Blick ins Tal
Blick ins Tal

 

Baden im Oberalpsee

Gegen 19 Uhr wieder am Oberalppass angekommen, kleide ich mich schnell um und will im Gasthaus Alpsu, in dessen Schuppen ich mein Rad untergebracht habe, ein Bier trinken. Es hat aber schon geschlossen. Also gehe ich ins schräg gegenüberliegende Gasthaus, ins Piz Calmot. Dort erkundige ich mich, ob es denn erlaubt sei, in dem Oberalpsee zu schwimmen. Als Antwort bekomme ich von der etwas schlechtgelaunten Wirtin zu hören, es sei jetzt doch viel zu kalt, um draußen zu schwimmen. Auf den Gedanken, dass die Temperatur des mit Schmelzwasser gefüllten Sees sicher nicht mit der eines Thermalbades mithalten kann, bin ich allerdings schon selbst gekommen. Aber mein Bedürfnis nach Erfrischung überwiegt. Also gehe ich zurück in den Schuppen, den ich mir inzwischen als meinen Schlafplatz auserkoren habe, ziehe mir eine Badehose an und nehme ein Handtuch und frische Kleider mit. Der See ist tatsächlich etwas kalt, zum ausgiebigen Schwimmen wäre das definitiv nichts. Aber mich mit Wasser abzutupfen und mal kurz mit dem Kopf unterzutauchen, damit auch die Haare sauber werden, das geht. Abgesehen von einer dreiköpfigen Familie aus Chur, meinem nächsten Ziel, die hier im Campingwagen übernachtet, bin ich wieder allein. Und dieses Alleinsein und die Ruhe sind sehr angenehm, wenn ich an die Massen von Menschen denke, die ich ab morgen sehen werde. Ich bringe meine Sachen wieder zurück in die Hütte und spüre, wie meine Glieder von der kleinen Bergwanderung schmerzen. Dieses Risiko war mir aber von Anfang an bewusst. Tagelang Rad zu fahren ist für mich kein Problem, ein paar Stunden zu wandern aber schon. Ich gehe noch mal ins Piz Calmot, um dort das Waschbecken zu nutzen und noch was zu trinken. Die Wirtin fragt mich gleich, ob es denn nicht zu kalt gewesen sei im See. Sie bzw. ihr Koch haben mich dort nämlich gesehen und waren wohl überrascht. Immerhin hat sie damit wohl verstanden, warum ich sie bei meinem ersten Besuch gefragt habe. Wenigstens wirkt sie jetzt ein bisschen freundlicher. Deswegen füllt sie mir auch meine Wasserflasche auf. Zum Glück, denn das war neben dem Zähne putzen der eigentliche Grund, herzukommen.

 

Abendessen auf dem Oberalppass

Auf dem Weg zurück zum Holzschuppen steigen aus zwei, drei Autos junge Erwachsene und deren Eltern aus. Wir kommen kurz ins Gespräch, da auch sie erstaunt sind über meine Waschaktion im See. Es stellt sich heraus, dass der Vater der Chef des Restaurants Alpsu ist und ich informierte ihn darüber, dass ich heute in der Hütte übernachten will bzw. frage ihn, ob das überhaupt in Ordnung ist. Er sagt, ich könne sogar in dem anderen Hüttenteil, welcher normalerweise abgeschlossen ist, schlafen. Dort gebe es Deckenbeleuchtung und Strom. Ich lehne aber dankend ab und sage, dass ich zufrieden bin mit dem anderen Abschnitt. Er bietet mir auch belegtes Brot und ein Bier an – kostenlos. Das kann ich natürlich nicht ablehnen. Mit einem wunderbaren Ausblick auf die Abenddämmerung und bei zunehmender Kühle esse ich draußen, während drinnen eine Familienfeier stattfindet. Als ich fertig bin, bedanke ich mich bei ihm und wünsche ihm noch einen schönen Abend. Dabei fragt er mich erneut, ob ich denn nicht in dem zweiten Raum schlafen wolle – dieses Mal nehme ich das Angebot an. Der Raum ist zwar voller Holzstaub, da hier ab und zu geschreinert und geschliffen wird, aber nutze ich den Strom dafür, meine elektrischen Geräte aufzuladen. Das Umräumen meiner Sachen vom einen in den anderen Raum ist in fünf Minuten erledigt und ich bin sehr froh, nachts noch Licht zu haben. Auch kann ich hier, wie schon bei der Zugfahrt, Schlaf nachholen. Nachts wird es hier aber ziemlich kalt…

 

 

Bad im Oberalpsee
Bad im Oberalpsee

Schlafplatz
Schlafplatz

 



Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 18:37:13