Tag 51 - Gastfreundschaft und Polit-Talk

MO, 21.Mai 2007 - Gastfreundschaft und Polit-Talk

 

(südlich von) Pozantı - Adana

Um 6:45 stehe ich auf und mache nach dem gemeinsamen Frühstück noch ein Foto mit der Familie. Nachdem die Mutter mit den Kindern zur Schule gegangen ist, mache ich mich wenig später, um 7:45 auch auf den Weg. Wieder mal wird klar, dass man hier nichts allein machen kann außer vielleicht den Aufenthalt auf der Toilette. Zwar geht der Familienvater weg, als ich deutlich mache, dass ich zum Packen des Rads noch 20 Minuten brauche, kommt aber keine 5 Minuten später zurück.

Da ich heute Nacht eindeutig zu wenig geschlafen habe und von der gestrigen Fahrt sehr erschöpft bin, lege ich um 10:45 für zwei Stunden eine Pause ein. Neben der Strasse führt ein kleiner Weg in den Wald, in dem ich es mir gemütlich mache. Sehr gemütlich sogar: ich packe die Isomatte aus und lege mich über eine Stunde in meinen Schlafsack zum Schlafen. Der Schlaf tut sehr gut und ich fahre motivierter, aber immer noch gebeutelt vom gestrigen Wind, weiter. Eigentlich war ich noch nie auf der Tour so dermaßen ängstlich vor dem Tag wie heute. Und das, obwohl früher schon graue Wolken, Gebirge und lange Strecken auf mich gewartet haben. Heute aber ist die Furcht größer: vor dem Wind, der gestern die letzten Kräfte aus mir gezogen hat. Da hilft es auch gar nicht viel, dass die Sonne scheint und es nach nur einem Pass nur noch bergab geht. Falls es wirklich so wird wie gestern, würde ich die Strecke bergab sogar mit dem Bus fahren. Das wäre – aus der Ferne betrachtet – zwar ein ziemliches Armutszeugnis, meiner Gesundheit und Psyche aber doch um ein Vielfaches dienlicher.

Die Fahrt ist dann aber doch nicht ganz so schlimm. Unterwegs mache ich trotzdem öfter Halt als üblich. An einer Stelle finde ich zufällig, womit ich mich während der Reise eigentlich auch beschäftigen wollte: dem Bau der Bagdadbahn - von Berlin nach Bagdad. Hier ist ein Gedenkstein für alle beim Bau ums Leben gekommenen deutschen Arbeiter.

 

Mustafa, Serhad, Gizem und Emine
Mustafa, Serhad, Gizem und Emine
Eskikonacyk
Eskikonacyk
Schlafen im Wald
Schlafen im Wald
Oben auf dem Berg
Oben auf dem Berg
Der letzte Pass
Der letzte Pass
Gedenkstein für deutsche Bahnbauer
Gedenkstein für deutsche Bahnbauer
   

 

Die Abfahrt in die Ebene ist nicht besonders prickelnd, auch wegen dem Straßenbelag. Unten angekommen, genieße ich aber doch, dass kaum Wind weht, ich den Bergen entkommen bin und nun wieder in die Mittelmeerregion komme.


Gegen 19:30 in Adana angekommen, frage ich ein Paar, Ümit und Elif nach einer preiswerten Unterkunft. Sie wollen mir den Weg zeigen, entschließen sich aber kurz darauf , mich bei ihnen unterzubringen. Das soll mir auch recht sein.
Später versammelt sich auch die Nachbarsfamilie im Wohnzimmer und es beginnt ein Gespräch. So fragt die Nachbarin mich (auf gutem englisch), warum denn die Europäer gegen die Aufnahme der Türkei in die EU sei, warum die Türken nicht gemocht würden. Ich antworte, eines der Hauptprobleme liege wohl darin, dass (offiziell) 99% der Türken Moslems sind. Da erinnert man sich in Europa doch gerne schnell wieder daran, dass es christlich geprägt ist. Welche Bedeutung das auch immer für Politiker und Wirtschaftler haben mag, sei dahingestellt. Tatsächlich spielen aber wohl die politischen und ungelösten Fragen eine Rolle: die Kurden in der Türkei, die Zypernfrage und natürlich der Völkermord an den Armeniern. Allerdings lasse ich im Gespräch mit den Nachbarn die Armenier, den “Ländertausch” mit den Griechen und die Unterdrückung von Minderheiten aus, da ich hier Informationen und Ansichten aufnehmen und nicht eine womöglich blutig endende Diskussion beginnen will. Zudem kann es bei solch brisanten Themen schon bei kleinsten sprachlichen Verirrungen zu großen Problemen kommen.
Aber ich erwähne die Lage der Türken in Deutschland: viele der 3. türkischen Generation in Deutschland stehen zwischen den Kulturen, wissen nicht, wo sie hingehören. Auch sieht man in deutschen "Türkenvierteln” oft mehr Kopftücher als in einer türkischen Großstadt (dort ist seit Atatürk in öffentlichen Einrichtungen das Tragen von Kopftüchern verboten). Zu interpretieren ist dies als Flucht in die Vergangenheit.
Im weiteren Gespräch stellt die Frau Nachbarin, die Leiterin eines Lebensmittelgeschäftes ist, die Arbeitsmoral des „allgemeinen Türken“ selbst in Frage (“die meisten wollen nur schlafen und essen”).
Die Frage danach, was ich von der türkischen Geschichte halten würde, habe ich gleich abgewiegelt: Erstens weiß ich nicht genug darüber, und zweitens wird man in den Büchern wie in den Nachrichten ja meistens über die Kriege und Schrecken des Landes informiert, also nicht unbedingt über Positives. Als ich darin den Bogen zu Deutschland mache, ist die Frage auch mehr oder weniger beantwortet und man gibt sich zufrieden.
Der Unterhaltung folgt natürlich die übliche Warnung vor meinen nächsten Reisezielen… Passend waren dazu allerdings die aktuellen Nachrichten: Kämpfe im Libanon, Israelis wieder in Gaza mit einigen Toten…

 

Weinanbau
Traubenanbau
Nähe Tarsus
in der Nähe von Tarsus
Meine heutigen Gastgeber und Nachbarn
Meine heutigen Gastgeber und Nachbarn
 

 

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 15 Feb 2016 07:26:45

Tag 51 - Gastfreundschaft und Polit-Talk Menu