Tag 72 – Probleme mit Wind, Kette und Landkarten – und ein gutes Ende

MO, 11.06.2007 – Probleme mit Wind, Kette und Landkarten – und ein gutes Ende

Hama – Homs – Kloster Deir Mar Musa

Erst mal was Anderes - heute, zum 25jährigen Jubiläum der Singleveröffentlichung “Rock the Casbah” von The Clash. Das Video dazu finde ich ganz witzig, es geht ganz angenehm mit den Unterschieden zwischen den Religionen um. (Video unter: www.youtube.com).

Den Tag starte ich mit einer Stadttour auf dem Rad. Die verläuft aber leider ähnlich chaotisch und stressig wie in Aleppo. Ich habe zwei Stadtpläne, kann aber mit beiden nicht wirklich etwas anfangen. Die verdammten Einbahnstrassen! Nach doppelt so langer - wie ursprünglich geplanter - Zeit erreiche ich wenigstens einen "Getränkehandel". Durch die bisherigen Erfahrungen in Syrien decke ich mich noch gut mit Bier ein.

 

Wasserräder in Hama
Wasserräder in Hama
Moschee Hama
Moschee Hama
Vor einer der Kirchen Hamas
vor einer der Kirchen Hamas
Alkoholauswahl
Alkoholauswahl
Christliches Viertel Hama
christliches Viertel Hama
     

 

Von Hama geht es geradeaus in den Süden. Die Fahrt ist heute nicht sehr einfach, es gibt viel Gegen- und Seitenwind. Ich fahre durch Homs, der angeblich langweiligsten Stadt des Landes. Lahmen Leuten im Land wird auch nachgesagt, sie seien "homsi" (oder so ähnlich). Bisher habe ich mich von diesem Klischee täuschen lassen. Bei der Durchfahrt fällt mir auf, dass es hier – wohl aufgrund der Uni – viele junge Menschen gibt, die der Stadt ein attraktives Gesicht geben. Vor allem die hübschen Frauen lassen mich die Geschwindigkeit ein wenig drosseln. Die Frauen sind hier lange nicht so zahlreich verschleiert wie in Aleppo, so mein Eindruck. Vielleicht fahre ich ja gerade durch ein christliches Viertel (wie ich später erfahre, gibt es wirklich viele Christen in Homs).


Dabei sollte ich noch erwähnen, dass es meinem Gefühl nach heute generell mehr verschleierte Frauen gibt als bei meinem ersten Aufenthalt in Syrien vor vier Jahren. Medienberichte bestätigen meinen Eindruck von dieser Entwicklung.. Die abnehmende Zahl unverschleierter Frauen wird dann natürlich um so mehr begafft. Besonders schockierend finde ich, dass sogar schon kleine Mädchen ihre Haare verhüllen. Bei aller Diskussion um verschiedene Interpretationen des Korans habe ich noch nirgends davon gehört, dass Kinder unter dieses Gebot fallen. Es geht darum, dass Frauen ihre Reize (fremden) Männern nicht zeigen sollen.

Viele Frauen sehen dann auch wirklich – je nach Region, persönlichem Gestus, Umfeld - aus wie der wandelnde Sensemann oder direkt aus dem Second-Hand-Laden kommend. Damit glauben die Männer ihr Ziel erreicht zu haben, dass nämlich keiner mehr ihren Frauen hinterher gafft. Aber die (totale) Verschleierung hat auch Nachteile für die Ehemänner: Fremdgehen wird einfacher, da man ja nicht mehr erkannt wird. Zudem habe ich Berichte gelesen, nach denen die Prostituierten – soweit diese aus dem Haus gelassen werden – ebenfalls total verschleiert umherwandeln. Eine wirklich seltsame Geschichte also.

Weiter geht es: Die Fahrt ist anstrengend. Mitten auf der Autobahn habe ich nach Anbruch der Dunkelheit ein Problem, das im schlechtesten Moment auftaucht: Die Kette spielt nicht mehr mit. Das Knarxen erinnert mich sehr stark daran, wie ich letztes Jahr durch Frankreich gefahren bin und das Kettenblatt gebrochen ist. Das fehlt gerade noch. Und es würde ganz gut dazu passen, dass mir das Rad beim Verlassen des Hotels mit dem Kettenblatt total auf die Treppenstufen geknallt ist. Ich setze also die Kette zwei Mal wieder aufs Blatt, aber sie fällt wieder herunter. Hinter mir kommt ein Mopedfahrer, der das Blatt schön ausleuchtet, damit ich zwischen der lauten Autobahn und der dunklen Nacht die Kette einölen kann. Ich glaube zwar nicht so ganz dran, dass das hilft, versuche es aber. Ich steige wieder auf, aber das Gekrache geht weiter. Wenigstens rutscht die Kette nicht mehr ab. Das aber auch nur, wenn ich nicht die Gänge schalte. Ich probiere es mit einem zweiten, sehr ausgiebigen Ölen. Und: es hilft. So ganz habe ich nicht daran geglaubt. Tatsächlich hat der permanente staubige Wind die Kette doch ziemlich mitgenommen auf der kurzen Fahrt nach dem letzten Ölen. Soll nicht wieder vorkommen!

 

Uni Homes
Uni Homs
Vom Wind gezeichnet
vom Wind gezeichnet
   

 

Gegen 23 Uhr bin ich in Deir Atia. Die Suche nach dem Kloster ist doch ein bisschen schwierig. In der Dunkelheit der Nacht ist es nicht mehr ganz einfach, den Weg zu finden. Die Ortsschilder sind nicht sehr hilfreich, wenn sie denn überhaupt vorhanden sind. Und auf der Landkarte ist auch nicht jede Position oder Zuordnung ganz klar. Auch passieren hier wieder Verwechslungen: Das (unbekanntere) Kloster Deir Mar Musa wird leicht mit dem von Maalula verwechselt. Weit auseinander liegen sie ja auch nicht. Weil ich ziemlich erschöpft bin und es zunehmend kalt wird in dieser Höhe – ich friere sogar noch trotz Jeans und Pulli – entschließe ich mich, das Angebot des Kiosk-Besitzers anzunehmen und ein Taxi zu rufen. Die Entscheidung erweist sich als gut: 10 km in den Süden und dann die etwa 15 km rein in die Täler. Die Fahrt über An Nabk bis zum in einer Schlucht gelegenen Kloster Deir Mar Musa dauert lange. Und auf dem hügeligen Weg ins Nirgendwo hätte ich sicher Probleme damit gehabt, an ein gutes Ende zu glauben. Von den üblichen gefährlichen Hunden ganz zu schweigen. Um 0 Uhr stehe ich also vor den 400 Treppenstufen zum Kloster. Einen Aufstieg ins Unbekannte lasse ich lieber bleiben und breite vor dem Treppenaufstieg mein Nachtlager aus.

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