Tag 78 - Statt „Paris des Ostens“ tote Hose am Sonntagabend

SO, 17.06.2007 - Statt „Paris des Ostens“ tote Hose am Sonntagabend


Damaskus – Beirut

Vor dem Start der Busfahrt in den Libanon streiche ich einige Orte, die ich besuchen wollte:

 - Qana, das von israelischen Luftangriffen mehrfach schwerst getroffen und zerstört wurde (s. de.wikipedia.org
 - Bint Dschubeil (s. de.wikipedia.org). Für die beiden Ortschaften bräuchte ich eine spezielle Genehmigung, was mir, mit der zusätzlichen langen Fahrt in den Süden, zu viel ist. 
 - Baalbek: auch die Hisbollah- und Drogenhochburg lasse ich aus (s. de.wikipedia.org): Ich habe auf der Reise schon so viele Ruinen gesehen, und diese laufen mir bestimmt nicht davon. 
- Zedernwald (Wahrzeichen des Libanon) im Norden von Beirut: Den Naturpark mit bis zu 1500 Jahre alten Bäumen, die auch in ein paar Jahren noch stehen werden.

Hotel Al Rabia Damaskus
Hotel Al Rabia Damaskus
     


Gegen 13 Uhr fahre ich mit Manuel aus Portugal, den ich schon in Aleppo getroffen habe, los. Er sagt mir, er habe eigentlich immer die Lacher auf seiner Seite, wenn er sich vorstellt. Denn das arabische Wort für die Orange (burtuqalh) ist nämlich fast identisch mit dem Begriff für sein Herkunftsland (alburtugal). Ist ja auch einen Lacher wert, wenn man sagt "Ich komme aus Orange". Auf jeden Fall ein guter und witziger Einstieg ins Gespräch.
Für die Reisenden unter euch: Über die nördlichen Grenzübergänge des Landes (soweit diese überhaupt geöffnet sind) kommt man angeblich nicht nur zwei Tage, sondern einen ganzen Monat ohne Visakosten in den Libanon.

Der Aufenthalt an der Grenze dauert ein bisschen. Am meisten Zeit kostet aber der riesige Umweg, den wir abseits der Autobahn fahren müssen. Das israelische Militär hat nämlich beim Krieg im letzten Sommer die wohl wichtigste Brücke der Verbindung Damaskus – Beirut unbefahrbar gemacht.

Was im Libanon gleich auffällt: Die Frauen tragen kaum Schleier – und wenn, dann sind sie sehr modisch gekleidet. Das braucht aber nicht zu wundern, schließlich gibt es hier 1. viel mehr Christen als in Syrien, und 2. orientieren sich die Menschen viel eher am Westen. Das krasseste Beispiel fährt bei uns im Bus mit: Die junge Dame steigt mit einem sehr leichten, durchsichtigen Kopftuch, eher einem leichten Schal, in Damaskus in den Bus und verlässt ihn kurz vor Beirut mit offenem Haar.
Und es gibt noch eine Erfahrung an der Grenze: Ein Franke fährt mit im Bus, darf aber nicht über die Grenze. Warum? In seinem Pass steht, dass er nach Syrien mit einem Auto eingereist ist. Und so lange dieses nicht offiziell verkauft ist oder er es unter seinem Hintern hat, kommt er nicht wieder raus. Also wieder zurück nach Damaskus!
Auch das Gespräch mit einem Libanesen ist seltsam. Beide seiner Eltern sind syrisch, was auch im Pass steht. Deswegen kriegt er – wenn ich es richtig verstanden habe – in beiden Ländern keinen richtigen Job. Im Libanon nicht wegen seiner Herkunft bzw. der seiner Eltern, und in Syrien aus dem selben Grund bzw. wegen seinem libanesischen Akzent. Deswegen sucht er jetzt eine Arbeitsstelle in Moskau, es liegt ja auch nichts näher. Dort hat er wohl auch eine Frau gefunden. Denn mit den syrischen Frauen will er nicht und mit den libanesischen erst recht nicht: Die seien zwar alle sehr chic und äußerlich aufgetakelt, innen aber um so leerer - und vor allem sehr anspruchsvoll.
Hier scheint es generell Widersprüche zu geben – wie ich sie aber auch aus anderen arabischen Ländern kenne, nur nicht so extrem: Die jungen Leute wollen offen und modern sein, ausgehen, sind am Westen, an Reichtum und Äußerem orientiert. Da liegt es nahe, dass es – man lebt ja im Hier und Jetzt – auch mal zu One-night-stands kommt. Und die sind auch in Ordnung. Allerdings nur für die Männer. Die Frauen sollen aber bei der Hochzeit bitteschön Jungfrauen sein. So habe ich auch gehört, dass es nicht selten ist, dass sich Mädchen bzw. Frauen vor der Hochzeit das Jungfernhäutchen wieder zunähen lassen. Das klingt für mich – trotz allem, was ich an dem Land schätze – doch eher nach Mittelalter. Mal schauen, was die Zeit bringt...

 

Am Busbahnhof Damaskus
am Busbahnhof Damaskus
Nähe Sahle, Libanon
Nähe Sahle, Libanon
   

 

Das Hotel, in dem wir unterkommen, liegt ziemlich nahe am Busbahnhof. Nach einer kurzen Dusche geht es los ins nahe gelegene Parlamentsviertel. Keine Angst, es wird schon nichts passieren: Anschlage gibt es fast nur morgens und Sonntag sowieso nicht. Hier gilt es natürlich, Fotos zu machen. Das ist aber gar nicht so einfach. Kaum hat man eines gemacht, wird man angesprochen und von den vielen Polizisten darauf hingewiesen, dass das nicht geht. Man will dem auch gar nicht widersprechen, denn Polizei, Sicherheitspersonal und Militär bieten hier personenmäßig eindeutig die Überzahl gegenüber den Passanten. Überhaupt ist hier alles militärisch gestaltet: Überall Gitter, Barrikaden, Stacheldraht, gelegentlich Panzer und eben massig bewaffnetes Personal. Falls mal jemand von euch herkommen sollte: Hier in Beirut ist ein Personalausweis beinahe überlebensnotwendig. Heute Abend wird er zwei, drei Mal kontrolliert. Und das, obwohl wir zweifellos aussehen wie Touristen, nicht wie Terroristen. Ich stelle ja nicht gerne Klischees auf, aber gab es bei den ganzen Attentaten in Libanon oder auch in Israel jemals einen Blonden unter den Tätern? Die starke Vorsicht des Militärs möchte ich damit aber nicht kritisieren.


Die Touristenpolizei (wusste gar nicht, dass es so was gibt) informiert uns später gut über Beirut und versorgt uns mit Karten und Werbezetteln.

Anschläge gibt es erfahrungsgemäß also nicht an Sonntagen. Es gibt aber auch sonst nichts in Beirut am Sonntagabend. Es ist hier so still und leer wie auf deutschen Strassen an Heiligabend um 20 Uhr. Von dem lebendigen Beirut, von dem man so viel hört, bekomme ich also nichts mit. Nach recht kurzem Suchen - hier spricht fast jeder gut Französisch oder Englisch oder beides und gibt ehrliche, präzise Antworten - finden wir eine Bar, in der auch was los ist.
Beim Rückweg gönnen wir uns noch ein Bier. Wir unterhalten uns kurz mit dem Barbesitzer, der aber, aufs Thema Politik und Syrien angesprochen, kaum gesprächsbereit ist. Nur ein "Scheiß Syrien!" bringt er voller Überzeugung raus. Damit ist das Thema für ihn gegessen. Wir verziehen uns und wollen unser Bier unterwegs trinken. Nur ist da leider kein Weg, den man einigermaßen unbehelligt begehen kann. Überall wieder Wachleute. Und es fällt sogar schwer, auf den Treppen des Hauses den Abend zu beschließen. Keine zwei Minuten und wir müssen wieder unsere Ausweise vorzeigen. Organisiert sind die hier wirklich gut. Aber sie lassen uns dann auch in Ruhe, sind doch davon zu überzeugen, dass es sich bei uns nur um Touristen handelt.

 

Moschee und Kirche, Beirut
Moschee und Kirche, Beirut
Absperrungen im Parlamentsviertel
Absperrungen im Parlamentsviertel
Zeltlager vor dem Parlament Beiruts
Zeltlager vor dem Parlament Beiruts
Zeltlager II
Zeltlager II
Die einzige auffindbare Bar
die einzige auffindbare Bar
     
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