Tag 79 - Schatila – 60 Jahre Nahostkonflikt auf engstem Raum

MO, 18.06.2007 - Schatila – 60 Jahre Nahostkonflikt auf engstem Raum


Beirut – Damaskus

Nach dem Abschied von Manuel geht es mit dem Bus nach Shatila, einem Ortsteil von Beirut. Vielen, die sich ein bisschen mit der Geschichte des Nahen Ostens auskennen, wird der Ortsname wohl ein Begriff sein: Vom Massaker von Sabra und Shatila (de.wikipedia.org). Hier leben palästinensische Flüchtlinge (Lagerliste s. www.spiegel.de) .
Ich will das Kinder- und Jugendzentrum ("Children & Youth Center", CYC) besuchen (www.cycshatila.org). Die Suche gestaltet sich wieder mal ein bisschen länger als ich gedacht habe. Kein Wunder: Der mir gegebene Name der Einrichtung stimmt nicht, dafür gibt es aber eine andere Einrichtung, die ähnlich heißt. Trotzdem komme ich voran. Die Leute scheinen zu ahnen, wo ich hin will. Schließlich stehe ich vor einer Einrichtung, deren Namen ich sehr wohl kenne: Najdeh (www.associationnajdeh.org, www.najdeh.de). Eine Einführung in das Viertel bekomme ich von Nohad Hamad, einer Sozialarbeiterin. Auch Mahmud Abbas, der Chef, und Abeer Kassem haben kurz Zeit für mich, um einige Fragen zu beantworten.
Unterstützt bzw. getragen werden die Einrichtungen hier von der UNRWA (www.un.org bzw. de.wikipedia.org). Diese sind ein Hilfswerk der UN für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (Lager s. www.un.org, Infos über pal. Flüchtlinge www.badil.org). Neben Workshops bietet die Caritas Nachhilfe für Schüler, Sportmöglichkeiten und im Sommer Campingmöglichkeiten an. Diese sind letztes Jahr nach langer Vorbereitung wegen des Krieges geplatzt. 

 

Das wohl hässlichste Geld weltweit
das wohl hässlichste Geld weltweit
Weiterhin Hoffnung
weiterhin Hoffnung
Kindergarten Schatila
Kindergarten Schatila
Schatila
Schatila
Schatila II
Schatila II
Wasseraufbereitung
Wasseraufbereitung
Mit Abeer Kassem, Nuhad Hamad und Mahmud Abbas
mit Abeer Kassem, Nuhad Hamad und Mahmud Abbas
Vor dem Jugendzentrum
vor dem Jugendzentrum
Gedenken an das Massaker von 1982
Gedenken an das Massaker von 1982
     

 

Zu Schatila:

Seit 1950 leben hier vertriebene Palästinenser, die anfangs in Zelten und unter schweren Bedingungen lebten. Seit etwa 1970 gibt es, durch die PLO veranlasst, auch Häuser und fließendes, aber nicht trinkbares Wasser. Klares Wasser gibt es nur durch Filtration. Elektrizität gibt es nicht dauerhaft.
1996 hat die syrische Armee das Lager verlassen und auch die libanesische Polizei. Im Gegensatz zu dem Lager, das ich vor 4 Jahren besucht habe (Rachidiye) genießt man hier mehr Freiheit. Allerdings längst nicht so viel, wie man es in Europa erwarten würde.
Die Gassen Shatilas sind eng, es gibt nur wenige größere Straßen. Es gibt hier zwei Kindergärten. In ganz Schatila gibt es nur eine Schule für 1.500 Schüler. Das heißt, dass die eine Häfte morgens, die andere abends kommt. Früher gab es drei Schulen, was mit der Finanzierung der UNRWA (s.o.) zusammenhängt. Auch gibt es nur einen Arzt in der Klinik der UNRWA; dieser hat pro Tag 100-150 Patienten zu versorgen.
Hier leben inzwischen "nur noch" 60% Palästinenser, ab 1998 sind viele Libanesen aus dem Süden hierher gekommen. Insgesamt hat der Stadtteil 17-20.000 Bewohner.
Die Chancen, außerhalb Arbeit zu finden, sind sehr gering. Die Bewohner haben keine Staatsangehörigkeit, denn sie kommen aus einem Staat, den es gar nicht gibt: Palästina. Und der Staat Libanon will sie nicht einbürgern. Wohl aus einem bestimmten Grund: Aufgrund der Religionsvielfalt im Libanon (s. www.dradio.de) herrscht eine – inzwischen sehr brüchige -paritätische Machtverteilung: Die Aufteilung der Regierungssitze wurde ausgerichtet nach den Anteilen der jeweiligen Konfession an der Bevölkerung. Würden also die Palästinenser die libanesische Staatsbürgerschaft bekommen – falls sie diese denn überhaupt wollen –, würde das eine enorme Erstarkung der Sunniten bedeuten. 
Die palästinensischen Lager im Libanon haben während der israelischen Angriffe die Libanesen aufgenommen. Und die Lager wurden beinahe ganz verschont von den Angriffen. Somit gab es zwischenzeitlich eine Toleranz und Verbrüderung mit den Libanesen wie seit langem nicht mehr. Jeder hat jeden aufgenommen, gleich welcher Religion oder Volksgruppe er angehört. Nach dem Krieg sind die Libanesen aber wieder schnell zurück in ihre Häuser oder was davon übrig geblieben ist, die Palästinenser sind in den Lagern geblieben, in denen sie jetzt in der dritten, vierten Generation leben. Und es scheint sich keinerlei Lösung abzuzeichnen: Zurück in ihre Heimat, die jetzt Israel ist, können sie nicht. Und daran wird sich wohl auch in absehbarer Zeit nichts ändern.

Zur aktuellen Geschichte:
Der Libanon wurde von Israel zwischen dem 12.Juli und dem 14.August letzten Jahres bombardiert. In dem Krieg starben etwa 160 Israelis (davon 43 Zivilisten) und 1.230 Libanesen (1.191 Zivilisten), die Opfer der Hisbollah gar nicht mit einbegriffen. Bei allem Verständnis für Israels Recht auf Verteidigung hat Israel völlig daneben gegriffen: Anstatt im Austausch mit den drei gefangen genommenen israelischen Soldaten etwas zu erreichen, hat es neben der Zerstörung der gewachsenen Hoffnungen nach dem langen libanesischen Bürgerkrieg auch dem Mittelmeer die drittgrößte Umweltkatastrophe bereitet (vgl. de.wikipedia.org). 
Die Angriffsziele Israels waren oft nur schwer in Verbindung mit dem Feind, der Hisbollah, in Verbindung zu bringen: Krankenhäuser, Elektrizitätswerke, Tankstellen, Molkereien, Schulen und Moscheen wurden zerstört. Auch die Art mancher Angriffe – Phosphor- und Streubomben – ist sehr fragwürdig, um es „sachlich“ auszudrücken. Und: Die Gefangenen sind noch immer nicht zurück und die Hisbollah ging gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor.

Weiter geht’s es: Leider hab ich nicht nur gestern mit dem Ausgehen in Beirut den beschissensten Wochentag erwischt, sondern auch heute mit dem Besuch der Grottenhöhlen von Djeita (s. www.jeitagrotto.com). Die haben nämlich am Montag geschlossen. Laut Info auf der Broschüre ist im Sommer zwar jeden Tag offen, aber das scheint dort wohl keinen zu kümmern. Also kann ich die halbe Busfahrt wieder abbrechen und zurück nach Beirut, um auf den nächsten Bus nach Damaskus zu warten. Das mache ich auch, wenngleich es z.T. einfacher und kaum teurer ist, ein Sammeltaxi zu nehmen. Dafür habe ich fast den ganzen Bus für mich allein. Neben den zwei Fahrern ist nur noch ein Gast außer mir in dem 40-Personen-Bus.

Tagesresumee: Trotz den total falsch gewählten Wochentagen – es hat Spaß gemacht. Und: Der Libanon ist sicher eine weitere Reise wert

 

Wiederaufbau nach dem Krieg
Wiederaufbau nach dem Krieg
Letzte Sonnenstrahlen auf das Libanongebirge
letzte Sonnenstrahlen auf das Libanongebirge
Zurück in Damaskus
zurück in Damaskus
 
Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 20 Feb 2016 11:47:30

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