Tag 033 - Bruch des Taschenträgers 32 Kilometer vor Odessa

MI, 29.04.2015 – Bruch des Taschenträgers 32 Kilometer vor Odessa

Tiraspol – Odessa

 

Interview und Fahrt bis zur Grenze in die Ukraine

Am Morgen führe ich noch das Interview mir Julia. Was für ein Zufall. Da spreche ich irgendeine Frau auf der Straße an und sie arbeitet für den Tourismus und ist sogar interessiert an einem Bericht über meine Tour. Wir versuchen auch, Wladimir in Odessa zu erreichen, aber es entsteht kein Kontakt, weder sprachlich beim ersten Versuch, noch von der Verbindung beim zweiten Versuch. Somit greife ich also wieder den alten Vorschlag von Katja aus St. Petersburg auf, ins von ihr empfohlene Hostel zu gehen.

In Tiraspol sind die Abstände zwischen Gehweg und Straße oft bis zu zwei Hände breit. Die Stadt ist deswegen kein gutes Pflaster für Radfahrer.

 

Eigentlich sollte es einfach weitergehen, denn es sind nur 102 Kilometer bis Odessa. Wie gewöhnlich versuche ich, regionales Bier – aus Tiraspol – zu erwerben. Allerdings gibt es das ausgerechnet in diesem kleinen Laden nicht. Insgesamt starte ich wieder etwas spät. Das wäre halb so wild, hätte ich nicht wieder stundenlang Gegenwind. Dadurch und durch den fehlenden Sonnenschein wird es ein paar Grad kälter, längere Pausen sind also nicht drin. Und dass ich bergab fahre, davon merke ich nichts. Erstens gibt es wieder verdammt viele Hügel, wenn auch kleinere. Zweitens habe ich nichts davon, wenn es bergab geht, denn auch dort fahre ich mit Anstrengung gerade mal 17 km/h. Zur Probe versuche ich es mal umgekehrt – 25 km/h bergauf ohne viel Mühe. Diese Art von Fahren geht, besonders durch die vielen Schlaglöcher und Wellen, ziemlich auf meinen Hintern und aufs Rad. Bei wem es beim Sex so poltert, dem gönne ich es ja. Aber hier wird es auf Dauer unerträglich und ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich fluche. Während solch einer Fahrt bekomme ich Zweifel. Nicht an der Tour selbst, aber an der Sinnhaftigkeit der heutigen Strecke. So fahre ich gefühlte Stunden eine kerzengerade Strecke, die rechts und links von Nussbäumen geschmückt ist. Eigentlich schön, aber tatsächlich will ich endlich nach Odessa und nicht gegen den Wind kämpfen.

 

Warum mache ich eigentlich diesen großen Umweg über Odessa? Eigentlich wollte ich schon 2013 hier durchfahren, allerdings kam mir die Krimkrise dazwischen. Und ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, wie lange die Stadt noch zur Ukraine gehört. Für die Russen, die schon die Krim und Teile des Südostens der Ukraine eingenommen haben, hat die Gegend sicher einen Reiz: die Stadt Odessa selbst, ihr Hafen sowie die Eingliederung Transnistriens.

 

Materialbruch 32 Kilometer vor Odessa

An der Grenze komme ich gut durch. Allerdings finde ich, dass die Grenzsoldaten mit ihren Uniformen wirken wie aus vergangenen Tagen. Das ist wirklich kein Vergleich zu den bisherigen Grenzen oder der deutschen Polizei, die sich nach Jahrzehnten von ihrem potthässlichen Grün verabschiedet hat und jetzt gut aussieht. Sonst gibt es an der Grenze sehr viele Geschäfte und Leute, die an der Straße ihr Zeug verkaufen. Eine Bank für den Geldwechsel finde ich aber nicht. Fotos habe ich hiervon keine, da die Leute oft auf mich schauen und ich es nicht mag, wenn die Leute sich beim Fotografieren beobachtet fühlen. Und nach der Grenze sehe ich wieder ein paar Rennradfahrer. Die sind wie daheim – entweder sie schauen strickt geradeaus oder auf ihr Rad. Grüßen tun sie einen so gut wie nie.

 

Trotz allen Problemen scheine ich die Ankunft bis etwa 20:30 in Odessa, jedenfalls am Ortseingang, zu schaffen. Doch kurz nach einer Tankstelle 32 Kilometer vor Odessa halte ich urplötzlich an: Die Halterung für die Vorderradtasche hat sich in den Speichen verfangen und total verbogen. Zum Glück bin ich recht langsam gefahren. Wie das passieren konnte, kann ich mir nicht erklären. Wahrscheinlich bestand im Material schon ein Riss, der jetzt ganz gebrochen ist. Auf jeden Fall muss ich die Tasche jetzt hinten irgendwie noch aufspannen, obwohl da schon alles voll ist. Zudem stehe ich jetzt mitten an einer Kreuzung, an der so gut wie niemand nach Odessa fährt und mich mitnehmen könnte. Für eine Reparatur wäre ich echt überfordert, vor allem hätte ich – beim besten Willen – nicht alle Ersatzteile dabei.Der Tacho macht übrigens auch nicht mehr mit. Bin mal gespannt, was morgen  falls ich ein passendes Velogeschäft finde – alles gemacht werden muss. In dem Ausmaß kenne ich es gar nicht, von keiner bisherigen Tour. So bin ich gerade mal einen guten Monat unterwegs, war  schon direkt vor dem Start beim Velogeschäft, danach in Konstanz, erneut in Graz und schließlich für die große Reparatur in Timișoara. Bis zum Einbruch der Dunkelheit kann es also gar nichts mehr werden. Vielleicht doch ganz gut, dass ich keine Abmachung mit Waldimir gemacht habe, was sollte der denn jetzt von mir denken? Die Fahrt geht auf jeden Fall weiter, indem ich mit gelöster Vorderbremse weiterfahre. Und die Fahrt läuft einigermaßen gut. Der Wind lässt mich in Ruhe, erst direkt vor Odessa bin ich bei einem großen Kreisverkehr unsicher, wie ich weiterfahren sollund strecke die Hand aus. Nachdem viele Autofahrer einfach weiterfahren, hält ein Mann (ca. 50) an und sagt mir, wie ich in die Stadt komme.

 

 

Suche nach "Antony's home"  in Odessa

Schon in der Stadt, höre ich als Antwort auf meine Frage nach dem Weg in die Innenstadt „oh, das ist aber noch weit“. Hä? Ja und, sogar wenn. Soll ich mit meinem Velo in die volle Tram oder ein Taxi einsteigen? Es sind nicht mal noch weitere 5 km. Ich bin verdammt froh, hier noch angekommen zu sein, aber solche Kommentare kann ich jetzt wirklich nicht brauchen. Schließlich ist es schon 21 Uhr Uhr und es ist noch nicht sicher, ob ich überhaupt in dem Hostel schlafen kann, bisher habe ich keien Antwort erhalten.

Den Notizzettel mir der Wegstrecke und den beiden Handynummern fürs Hostel finde ich allerdings nicht und habe auch keine Ahnung, wo er sein könnte. Den Straßennamen und die Hausnummer weiß ich aber zum Glück noch. Durch das Durchfragen bei etwa 5 Personen bzw. Personengruppen, die alle fast nur Ukrainisch sprechen, komme ich gut vorwärts. Und so stehe ich vor „Antony's home“ und fahre in die Einfahrt. Da es dort viele Eingänge gibt, frage ich ein junges Paar (ca. 30), wo der Eingang sei. Sie arbeiten nebenan, haben von dem Hostel aber noch nie gehört.  Um sie zu überzeugen, dass ich hier am richtigen Ort bin, führe ich sie zum Hofeingang, denn dort ist an beiden Seiten „Antony's home“ angeschrieben. Wie so üblich, holen sie ihre Smartphones raus und suchen. Schließlich finden sie raus, dass ich doch nicht falsch liege. Wo jetzt aber der Eingang ist und vor allem wie man Kontakt herstellt – alle Türen sind verschlossen – das dauert eine Zeit lang. So sind sie bestimmt 20 Minuten damit beschäftigt, mir zu helfen. Sie finden auch die Nummer des Besitzers raus und stellen den Kontakt zu her. Leider konnte dieser auf meine E-Mail von heute Mittag nicht per SMS antworten, es gab wohl ein technisches Problem. Er hat sie aber gelesen und kann mir auch ein Zimmer anbieten. Eine Kollegin wird gleich runterkommen, während sich die jungen Leute verabschieden, nachdem ich mich herzlich bedankt habe.

Das Gepäck muss ich ganze drei Stockwerke und das Rad sogar gut 50 Stufen nach oben schleppen, was nach den heutigen Schwierigkeiten allerdings kein Problem mehr darstellt. Das Hostel ist klein und ich bin der einzige, der noch wach ist. Zudem habe ich ein Zweierzimmer für mich allein. So mache ich das, was ich meistens nach der Ankunft bei meinen Reisen mache: die Taschen öffnen, entsprechend aus- und umräumen. Dabei finde ich auch zufällig zum ersten Mal den Lippenpflegestift, den ich wider Erwarten mitgenommen habe und den ich anfangs sehr gut hätte brauchen können.

 

So hätte ich mir den Tag wirklich nicht vorgestellt. Ich komme mit gut drei Stunden Verspätung am Zielort an, bin kaputt, überhaupt nicht zufrieden und habe von der Stadt eigentlich nichts gesehen. Und morgen geht es vor allem erst mal zum Velogeschäft und zum Geld wechseln.

 

Mein erster Eindruck der Ukraine: Die einen sind sehr hilfsbereit, die anderen einen Scheiß interessiert. Der Verkehr ist sehr stressig, die Autos fahren hier wie die Velokuriere - man fährt wie man will, die Ampelschaltung kümmert einen überhaupt nicht. Dazu kommt, dass auf meinem Weg die meisten Straßen sehr ähnlich aussehen, was mich sehr an Eixample/ Barcelona erinnert.


Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 19:22:09

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