Tag 070 - Flucht von der Tankstelle

FR, 05.06.2015 – Flucht von der Tankstelle

Pınarbaşı – Afşin

 

Hotel

Heute werde ich zum zweiten mal von der Sonne geweckt, allerdings schon wieder zu früh. Ich bin hier in einer Kleinstadt auf dem Land, Ruhe ist deswegen aber noch nicht gegeben. Der Hund in der Nachbarschaft gibt keine Ruhe. Gestern Nacht wurde zwischen meiner Ankunft bis nach Mitternacht auf dem ebenfalls benachbarten Fußballplatz gekickt und der Hund hat ununterbrochen gebellt. Seit heute früh höre ich immer wieder Durchsagen. Von wem und wofür die sind, weiß ich nicht. Für die Parteien, die permanent Werbung für die Wahlen am Sonntag machen, eher nicht. Im Gegensatz zu gestern muss ich für das Frühstück bezahlen. Dafür ist es zu teuer und fast ohne Beilagen, zum Beispiel weder Tomaten noch Gurken. Die Gäste nach mir erhalten diese. Aber nur, weil sie speziell danach fragen – auf Türkisch natürlich. Die schwarzen Oliven sind dafür die besten meiner bisherigen Tour.

 

 

Unterwegs

Nach der gestrigen Fahrt, bei der es meistens bergauf ging, denke ich, dass es heute angenehmer wird, also eher bergab oder wenigstens eben. Dem ist aber nicht so, es geht bis auf eine Höhe von 1890 Metern. Anfangs ist es eher hügelig, aber angenehm. Denn die Geschwindigkeit, die ich vom Herunterfahren mitnehme, reicht meistens völlig aus, um den nächsten Hügel ohne viel Anstrengung zu erreichen. Nach der Abzweigung nach Sarız ist es aber oft sehr steil. Hierbei fahre ich oft mit einer lange anhaltenden Geschwindigkeit von gerade mal 5 km/h. So tief unten war ich fast noch nie. Es hat immer für 6 gereicht, aber jetzt wird es oft gefährlich. Und ich merke, dass das Vorderradgepäck und sein Gewicht sehr wichtig sind. Denn zwei, drei mal hebt das Vorderrad leicht ab, da hinten zu viel Gewicht geladen ist. Es ist anstrengend, aber mir geht es gut dabei, denn die Landschaft ist es absolut wert. Die vielen kleinen Dörfer sind ansprechend, die Leute – Männer wie Frauen – grüßen einen sehr freundlich und ich mache es ebenso. Heute komme ich an so vielen Friedhöfen vorbei wie bei der ganzen bisherigen Tour. Nicht, weil hier mehr Menschen sterben, Kriegsgräber sind oder so. Sondern einfach, weil die Friedhöfe direkt an der Straße sind.

Bei der Fahrt ergibt sich heute ab Nachmittag ein neues Problem, das ich noch nicht kenne: der Asphalt wird weich. Dabei ist es heute nicht mal besonders heiß. Ich habe mich mal informiert – laut ADAC soll man schon ab 30°C aufpassen. Aber die hat es eigentlich nicht. Anscheinend haben die hier eine ziemlich schlechte Mischung für den Asphalt. Vielleicht liegt es auch an der hohen Belastung durch die vielen LKW, die hier durchbrettern. Erst muss ich aber mal den richtigen Weg finden. Denn die Straßen werden immer enger und ich habe langsam das Gefühl, in einer Sackgasse zu landen. Die Strecke ist zwar traumhaft, weswegen ich mich nicht aufrege. Das liegt aber auch an dem sonnigen Wetter, bei Regen und Kälte wäre meine Gefühlslage sicher anders. Aber ich bin wohl auf dem richtigen Weg. Da ich es sicher nicht mehr nach Elbistan schaffen werde, gebe ich mich mit Afşin zufrieden, welches ich eigentlich umfahren wollte.

 

 

Unterkunftswechsel in Afşin

Dort suche ich als erstes eine Tankstelle auf, um mir Benzin zu besorgen, damit ich die ganzen Teerspritzer von meinen Füßen, dem Gepäck und auch am Velo entfernen kann. Einer der Angestellten merkt schnell, was ich brauche und gibt mir einen in Benzin getränkten Lappen. Schließlich wollen er und einige Kollegen auch noch wissen, was ich überhaupt vorhabe. Nach kurzer Info – soweit es sprachlich möglich ist – macht er mir das Angebot, hinter der Tanke in einer gemütlichen Holzhütte, die mit Decken und Kissen ausgefüllt ist, zu übernachten. Das Angebot nehme ich gerne an. Er meint, um 22 Uhr könne ich auch duschen. Da das noch eine Weile dauert, gehe ich noch in die Stadt in ein Restaurant. Das Essen ist hervorragend, ich werde aber von extrem viel Straßenstaub stark eingedeckt. An dem ganzen Abend sehe ich nur 3-4 (!) Frauen und die sind mit dem Partner unterwegs. Wo bin ich hier bitte gelandet? Wieder zurück an der Tanke, gehe ich duschen. Danach bin ich noch beim Angestellten von vorher und trinke einen Tee, Kollegen schauen auch vorbei. Da ich endlich anfangen will, Berichte zu schreiben, gehe ich zu meiner Schlafstätte. Dazu kommt es aber nicht, weil der Angestellte wieder auftaucht und es sich neben mir gemütlich macht. Er will mir etwas auf dem Laptop zeigen, die von ihm gewünschte Internetseite öffnet sich aber nicht. Müsste sie aber eigentlich, denn er hat vorher nach einigen Problemen meinerseits das Passwort geändert und ich habe es selbst gerade erfolgreich genutzt. Deswegen probiert er jetzt spontan, die Daten meiner Systemsteuerung zu ändern. Ich bitte ihn zwei mal freundlich, das zu lassen, er macht aber weiter. So nehme ich ihm meinen Laptop einfach weg. Wie ich herausfinde, ist er zu mir gekommen, um sich mit mir eine Pornoseite anzuschauen. Bei meiner Reise 2007 ist mir etwas Ähnliches auch schon mal in der Türkei passiert, damals habe ich dem Herrn aber klar gemacht, dass er sich verziehen soll, habe mich hinter der Tankstelle mit Taschen und Rad verbarrikadiert und habe gut geschlafen. Jetzt aber ist mir nebendran die Gerätschaft zu laut, ich packe deshalb meine Sachen und suche ein Hotel, das ich nach wenigen Minuten auch finde. Dort funktioniert die Internetverbindung nicht in meinem Zimmer, dafür muss ich Erdgeschoss zur Rezeption gehen. Wenigstens das hat vorher geklappt.

 

 

 

Zur Kontaktsuche an der Tankstelle und generell

Als homosexuell würde ich den Angestellten nicht bezeichnen. Aber er macht, was man eben macht, wenn man keine Frau in diesem – wie bis vor Kurzem auch in Zentraleuropa – geschlechtergetrennten Land finden kann: Man probiert halt alles aus, nimmt sich, was man kriegt. Das hört man ja auch von der früheren Bundeswehr, wo solche Kontakte öfter vorgekommen sind. Dass Männer einen grundsätzlich höheren Hormonspiegel haben (jedenfalls offiziell), weiß man ja. Aber hier hat sich auf dem Land, also allen Städten unter einer Million Einwohner doch ein ganz schöner Pegel angestaut. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich von einigen Frauen keine Antwort erhalte, wenn ich mich bei ihnen nach dem Weg erkundige. Und das ist nicht nur in der Türkei so, sondern gelegentlich auch in Deutschland. Dabei müsste doch allen auf den ersten Blick klar sein, dass ich mit dem vielen Gepäck eine Reise mache und die Information wirklich benötige.

Ich habe keine Ahnung, wie sich Männer und Frauen hier kennen lernen. Vielleicht so wie vor wenigen Jahrzehnten in Deutschland – durch einen Tanzkurs, durch die Eltern oder einfach dadurch, dass der Mann viel Geld hat. Wie ich bisher durch Berichte und (ehemalige) Bewohner des Landes mitbekommen habe, soll es im Iran nicht so schwierig sein.

Diese Seite wurde zuletzt aktualisiert am 07 Sep 2016 19:34:54

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